Smooth Operating Düsseldorf

Marianne Thoermer und Joschua Yesni Arnaut

Fürstenwall 74, Düsseldorf
vor Ort: 9. Juli 2021, 18–22 Uhr

 

 

siehe auch:

digital
https://www.instagram.com/mananabold/

 

Friedrichstraße 16, Offenbach a.M.
Lukas Sünder
vor Ort: 16. Juli 2021, 18–22 Uhr

 

zur Ausstellungsinfo smooth operating

 

Marianne Thoermer

Marianne Thoermers (geb. 1987) Arbeiten liegt ein kreatives spekulatives Anliegen zugrunde. In ihren anthropomorphen Gebilden aus Alltagswerkstoffen wie Wolle, Bauschaum, Keramik, Glaswachs oder Stramin löst sie die verarbeiteten Materialien aus ihrem konservativen Stigma, bloß zu schmücken, zu wärmen oder zu isolieren, heraus. Die Kompositionen erfordern einen konzentrierten und anhaltenden Blick, besetzen einen diffusen Bereich unserer Wahrnehmung zwischen Wirklichkeits- und Realitätssinn, Wissen und Erlerntem. Was oder wer ist zu sehen? Was ist wirklich? Die Verwirrung über das Noch-nicht-Erkannte mündet in einer Suche nach identifizierbaren Fragmenten oder noch zu entschlüsselnden Botschaften.

So zeigt „Blisters in the Sun“ eine sonnenbadende Frau, erst auf den zweiten Blick sind die bereits im Titel verankerten brandblasenähnlichen roten Flecken zu erkennen und die Gesichtszüge scheinen zu einem krampfhaften Lächeln verzerrt. Ein weiteres Indiz für die Qualen bringt Thoermer über aus Wolle geknüpfte Laute zum Ausdruck, die sich in Stramin-Balken an der Ober- und Unterkante der Monotypie befinden: AAARRGGH HMMPPFFF – das Auge denkt den stillen Schrei der Frau mit. In einer ganzen Serie sogenannter „Vertonter Bilder“ steht das Intuitiv-Malerische verschiedener Monotypien – bei dieser besonderen Drucktechnik kann jeweils nur ein Exemplar angefertigt werden ­– den geknüpften Buchstaben aus Wolle gegenüber. Material, Motiv sowie Lautmalerische Verse treten in einen Dialog miteinander und formen Ereignisse. Trotz der vielfältigen Materialien scheint es Thoermer in ihren künstlerisch geformten Ereignissen nicht (allein) um die Analyse, Betrachtung oder Umdeutung einer Substanz zu gehen „mit“ der etwas geschieht. Vielmehr ähnelt ihr künstlerischer Blick auf eine „Wirklichkeit“ jenem des britischen Philosophen und Mathematikers Alfred North Whitehead, der diese in seinem Hauptwerk „Process and Reality“ (1929) als „Summe elementarer Ereignisse“ bezeichnet: So sucht Marianne Thoermer nach Möglichkeiten eine Kohärenz, etwas Gedachtes oder Erfahrungen sichtbar zu machen und gelangten darüber zu einem Stil bei dem das Material und das Geistige gleichermaßen als Pole der Erkenntnis wirken und beim Betrachten immer wieder neue Ereignisse bilden.

Auf dem Bildteppich „Nexus including the characters Cecile, Steve and Scott“ sitzen amorphe Formen aus Wolle und formieren sich zu einer Insellandschaft aus Rhythmen von Farben. Gelbe Akzente verleihen dem Objekt an Lautstärke. Dazwischen blitzen kahle Stellen auf und lenken den Blick auf das gitterartige Gewebe aus dem die weichen und fülligen Woll-Pixel quillen und sich stellenweise zu dicken Schnüren transformieren, die auf den Boden fließen. Wie Tentakeln umschließen sie die auf dem Boden sitzende gelbe Keramikfigur „Scott“, die einem menschlichen Herz ähnelt. Auf dem Bildteppich tauchen skulpturale Auswüchse mit den Namen „Steve“ „und „Cecile“ auf und stülpen das körperlich und gefühlsmäßig Innere nach außen. Was hat es mit den Keramiken auf sich? Wen oder was bilden sie ab? Fragen die die Künstlerin selbst gerne unbeantwortet lässt.

In der Arbeit „Capillary Refill“ sitzen mäandernde und flauschig-pralle Wollschnüre auf einem kühl blass-grün-glänzendem Glaswachs und lassen an organische Kreisläufe, Bewegung, Nähr- und Abfallstoffe denken. Auf der Weichgrundätzung „Unraveled Knot I“ bilden oder lösen sich Knoten und entwickeln sich von der einfachen Linie zu einem komplizierten Code. Der mehrdeutige Zusammenklang unterschiedlichster Materialen Farben und Formen steigert die Unruhe über das Noch-nicht-Entschlüsselte, bevor man sich über ein kleinformatiges Ölgemälde „Ohne Titel“ in eine eigene Traumwelt flüchten kann. In diesem jüngsten und zauberhaft wirkenden Werk löst sich die Unruhe und Spannung einander gegenüberstehender Erkenntnispole und offenbaren eine Gleichzeitigkeit von Imaginieren und Handeln im Entstehungsprozess.

 

 

Joschua Yesni Arnaut

Die Objekte von Joschua Yesni Arnaut (geb. 1989) geben sich andeutungsvoll. Irgendetwas liegt im Argen. Konfrontativ treffen verletzungsriskante Killer-Nieten, demolierter Stahl und verklebtes Kinderspielzeug auf zarte Kleidungsstücke, prunkvollen Goldschmuck und flauschige Kinderdecken. Meist handelt es sich um familiäre Erinnerungsstücke des Künstlers, die eine spannungsvolle Einbindung in das Kunstwerk erfahren, um den damit einhergehenden, oftmals im Nebulösen liegenden persönlichen Erfahrungen beizukommen. 

Die Versuche der autobiografischen Annäherung und das Scheitern an kohärenten Erinnerungen lässt an die „konfrontative Literatur“ des französischen Schriftstellers Édouard Louis denken, dessen Werke um die von Gewalt besetzte Erinnerung an die eigene Kindheit, Migrationserfahrung und die Suche nach gesellschaftlicher und familiärer Anerkennung kreisen. Zwischen Scham und Gewalt oszillierend verbindet beide Künstler ein schonungsloser Blick auf die eigene Person und die Erkenntnis der teilweise schmerzvollen Vergangenheitsbewältigung, mit der eine introspektive Verarbeitung, gewaltvolle Abgrenzung und zärtliche Versöhnung zusammen einhergehen.

Die auf den bosnischen Vornamen der Mutter des Künstlers verweisende Skulptur „Amra“ (2021) scheint mit ihren nach außen kragenden Stahltentakeln und ihrem reizvollen Paillettenoberteil – ganz so als hätte sich das Gebilde, trotz oder gerade wegen seiner verbeulten Beschädigungen, in vermenschlichter Weise herausgeputzt – direkt los- oder davonlaufen zu wollen. Wie in vielen Arbeiten von Arnaut, in denen alltäglichen Objekten skulpturale Qualitäten zugewiesen werden, lässt sich eine Reminiszenz des Vergangenen wahrnehmen, wenn die von außen auf das Material einwirkenden Kräfte ihre Spuren hinterlassen. Für Arnaut besitzt die Verschränkung zwischen der materiellen Widerstandsfähigkeit und dem aus mütterlichem Besitz stammenden Kleidungsstück private Bedeutung: So spielt diese auf die traumatisierende Fluchterfahrung der Familie aus Bosnien an sowie auf die vor dem Sohn verborgenen Schamgefühle.

Der Versuch der materiellen Konfrontation und der Vergangenheitsbewältigung, wird auch in weiteren Arbeiten evident. In der Arbeit „Rude Departure of the Volunteers” (2021) sind ehemalige Kinderspielzeuge des Künstlers mittels schwarzen Lackes zu einer verklebten Massen amalgamiert. Partiell lassen sich die Gegenstände, trotz ihrer Übermalung, weiterhin identifizieren: ein Reifen eines Matchbox-Spielzeugautos hier, ein muskelbepackter Oberarm von He-Man da. Während in Violent Healing” (2021) ein verbogener CD-Ständer mit einem zarten Seidenstoff ringt, treffen in Elbow Your Way Into the Room Softly” (2021) ein massiver Brustpanzer und eine filigrane Haarspange aufeinander. Begreift man die Objekte als Versuch der autobiografischen Annäherung stellen sich Fragen nach der emotionalen Aufladung alltäglicher Dinge: Welche episodischen Erinnerungen werden mitunter wachgerufen? Gäbe es ein Erinnern ohne dazugehörige Objekte? Wie vollständig mag das Abgespeicherte sein? Obwohl die Objekte als Zeugnisse eines konfrontativen bildhauerischen Umgangs mit gegensätzlichen Materialien und fragmentarischen Erinnerungen verstanden werden können, schwingen in den Zerlegungen mitunter Momente einer versöhnlichen Synthese mit.

unterstützt durch:
Kulturförderung der Stadt Offenbach
CPP Studios, Offenbach
HfG Offenbach
raumwerk Frankfurt/Düsseldorf
Galerie 3AP, Düsseldorf